20. März 2015 – HAZ

Die Pianistin der Klavierhauptstadt

Luiza Borac hat in Hannover früh Förderer gefunden / Am Wochenende sitzt sie in der Jury des Klavierwettbewerbs der Chopin-Gesellschaft.

VON STEFAN ARNDT


Flügel in Kirsche, Flügel in Nuss, Flügel in Hochglanzlack. Hinter dem Schaufenster glänzen edle Hölzer und die schwarz-weißen Zahnreihen von Tastaturen, wohin man nur blickt. Davor sind Metronome drapiert, Notenständer, Radiergummis in Form von Instrumenten und allerhand andere musikalische Kinkerlitzchen. Es ist zwar nur ein Zufall, dass ausgerechnet dieses Geschäft im Erdgeschoss des Hauses seinen Sitz hat, in dem Luiza Borac lebt, aber es passt doch zu gut, dass die Rumänin immer an der Auslage vom Klavierhaus Döll vorbeigeht, bevor sie in ihre Wohnung tritt. Die Nähe zwischen Instrumentenhandlung und Instrumentalisten mitten im Herzen der Altstadt illustriert vergleichsweise anschaulich die Bedeutung, die Hannover auf der musikalischen Weltkarte hat. Seit Jahrzehnten ist die Stadt ein wichtiges Zentrum des Klavierspiels, das Musiker aus ganz Europa, aus Asien und Amerika anzieht. So sichtbar wie das Schaufenster gegenüber der Marktkirche ist das in der Regel nicht.

Denn nur die wenigsten der herausragenden Pianisten, die hier seit Generationen an der Musikhochschule ausgebildet werden, bleiben danach auch in der Stadt. Luiza Borac ist da eine Ausnahme. Fast noch als Kind kam sie nach Hannover, um bei Karl-Heinz Kämmerling, dem 2012 verstorbenen Doyen der Klavierprofessoren, zu studieren. Und sie hat der Stadt bis heute die Treue gehalten. So kommt es, dass sie an einem Tag einen Klavierabend in der renommierten New Yorker Carnegie Hall spielt – und zwei Tage später schon wieder ihre Klavierschüler an der Musikschule im Haus der Jugend unterrichtet.

Boracs Lebenslauf ist die Erfolgsgeschichte einer außergewöhnlichen Musikerin. Begonnen hat alles mit einem Zeitungsartikel. Beate Geiseler, damalige Präsidentin der Chopin-Gesellschaft Hannover, las 1990 einen enthusiastischen Bericht über den Auftritt der jungen Pianistin bei einem Wettbewerb in Italien. Borac war im Halbfinale ausgeschieden, was den anwesenden Musikkritiker ärgerte, weil so die „poetischste Künstlerin“ aus dem Feld geworfen wurde. Geiseler fand die Adresse der unbekannten Musikerin in Rumänien heraus und lud sie zum Konzert nach Hannover ein.

„Der Brief war auf Französisch geschrieben“, erinnert sich Borac noch heute amüsiert und erstaunt darüber, dass ihr Glück mit der klangvollen Anrede „Chère Mademoiselle“ begonnen hat. Beim Konzert in Hannover war zufällig Klavierprofessor Kämmerling zugegen, der Borac sofort einen Platz in seiner Klavierklasse anbot. Und weil der Rumänin die Mittel fehlten, zum Studium nach Deutschland zu kommen, sprang die Chopin-Gesellschaft mit einem Jahresstipendium ein. „Das Besondere war, dass die Förderung sich über einen längeren Zeitraum erstreckte“, sagt Borac heute. „Das ist für einen Musiker gerade am Anfang unendlich wichtig.“

Darum freut sie sich auch, am kommenden Sonnabend in der Jury beim Internationalen Klavierwettbewerb zu sitzen, den die Chopin-Gesellschaft bereits zum 15. Mal ausrichtet. Die Intention des Wettbewerbs ist bescheiden: Er zählt sich nicht zu den großen Spektakeln, bei denen den Künstlern die Türen zu den Konzertpodien der Welt geöffnet werden sollen. Der Wettbewerb möchte Musiker am Anfang ihrer Laufbahn fördern, um ihnen weitere Karriereschritte zu ermöglichen. Zu gewinnen gibt es vor allem Stipendien, die einen Studienplatz mitfinanzieren oder Reisekosten zu Wettbewerben abdecken können.

Tatsächlich sind unter den bisherigen Preisträgern viele heute namhafte Pianisten zu finden. Natürlich auch Luiza Borac, die inzwischen weit mehr als 25 Preise erhalten hat. Sie erhält regelmäßig Auszeichnungen für ihre CD-Einspielungen. Der größte Erfolg bislang war der englische BBC Award, eine Art Klassik-Oscar, für Aufnahmen mit Werken ihres Landsmannes George Enescu. Auch eine Einspielung mit Etüden von Frederic Chopin war höchst erfolgreich. „Diese Stücke waren schon während meines Studiums enorm wichtig“, sagt sie, „ich habe sie immer wieder gespielt.“

Daran scheint sich auch für die heutigen Studenten wenig geändert haben. Bei der Vorauswahl für den Wettbewerb am Wochenende hat Borac diese Stücke von vielen Bewerbern gehört. Fünf Kandidaten hat sie schließlich zusammen mit der Jury ausgewählt. Sicher wird mindestens einer darunter sein, der nach dem Finale zumindest eine Zeit lang unter die Obhut der Chopin-Gesellschaft schlüpft.